Aktuelle Corona-Lage: Interview mit Amtsarzt Josef Kraft

veröffentlicht: am 14.06.2021     Presseinformation

Die aktuellen Infektionszahlen lassen auf einen Sommer mit vergleichbar geringen Einschränkungen hoffen.

Der bundesweite Trend ist seit Wochen rückläufig und die 7-Tage-Inzidenz in vielen Regionen in Deutschland liegt deutlich unter 35. Josef Kraft, Amtsarzt im Landkreis Gifhorn und Leiter des kommunalen Gesundheitsamtes, bewertet in einem Interview die aktuelle Situation im Landkreis Gifhorn und gibt einen Ausblick auf die kommenden Wochen.

Wie bewerten Sie die aktuelle Infektionslage im Landkreis Gifhorn?
In den letzten Wochen ist im Landkreis Gifhorn die Zahl der Neuinfektionen und die damit einhergehende 7-Tage-Inzidenz deutlich gesunken. Aktuell stabilisieren sich die Infektionszahlen und nehmen stetig ab. Verglichen mit unseren Nachbarkommunen und dem Landesdurchschnitt ist das Infektionsgeschehen im Landkreis Gifhorn derzeit aber noch dynamischer. Sollte die Inzidenz weiter sinken, sind dies gute Voraussetzungen für einen unbeschwerten Sommer. Dennoch ist es wichtig die Hygienemaßnahmen einzuhalten und rücksichtsvoll und umsichtig miteinander umzugehen.

Woran machen Sie das fest?
Die Corona-Verordnung des Landes Niedersachsen bietet bei sinkenden Inzidenzen zeitnahe Lockerungen in vielen Bereichen des öffentlichen Lebens. Kulturveranstaltungen, Freibäder oder auch die Gastronomie können unter Auflage von Hygienemaßnahmen wieder besucht werden. Was jedoch bestehen bleibt und von absoluter Bedeutung ist, sind die Grundregeln: Abstand halten, Maskenpflicht und Hygienekonzepte. Die Umsetzung dieser ist Grundvoraussetzung für die Eindämmung des Coronavirus, um unter anderem einer vierten Welle im Herbst/Winter 2021 präventiv vorzubeugen.

Das heißt, Sie rechnen mit einer vierten Welle?
Bei jeder Viruserkrankung ist die Ansteckungswahrscheinlichkeit in der kalten Jahreszeit höher. Das gilt nicht nur für das Coronavirus, sondern beispielsweise auch für die Grippe. Aus diesem Grund ist es sehr wahrscheinlich, dass die Fallzahlen in der zweiten Jahreshälfte wieder steigen werden. Ich gehe zum jetzigen Zeitpunkt jedoch nicht davon aus, dass die Neuinfektionen ein Niveau wie im vergangenen Winter erreichen werden. Grund dafür könnte die hohe Impfbereitschaft der Bevölkerung sein.

Also gibt es keinen Grund zur Euphorie?
Natürlich freut sich jede Bürgerin und jeder Bürger nach einem halbjährigen Lockdown über Öffnungsschritte und die Rückkehr des öffentlichen Lebens. Jeder soll und darf den Sommer natürlich auch genießen. ABER: Einen unbeschwerten Sommer kann es nur geben, wenn wir uns alle gemeinsam anstrengen und die Grundregeln weiterhin konsequent befolgen. Denn, die Pandemie ist noch nicht überstanden. Die Kreisverwaltung appelliert mit Blick auf den Herbst deswegen eindringlich daran, den Sommer mit Umsicht zu verbringen. Viele Menschen haben die AHA+L-Regeln bereits in ihren Alltag intergiert. Wenn wir das beibehalten, können wir im Sommer Spaß haben und gleichzeitig für den Herbst und Winter vorsorgen.

Was kann eine vierte Welle – neben der Einhaltung der AHA+L-Regeln – noch abfangen?

Die Impfquote ist die entscheidende Variable. Je mehr Menschen sich impfen lassen, umso geringer die Wahrscheinlichkeit einer erneut verstärkten Ausbreitung des Coronavirus. Das Robert-Koch-Institut (RKI) gibt für das Ziel der Herdenimmunität derzeit eine Impfquote von rund 80 Prozent aus. Davon ist der Landkreis Gifhorn noch ein gutes Stück entfernt. Solange diese Impfquote nicht erreicht ist, müssen wir uns im Herbst und Winter auf eine vierte Welle einstellen. Hier komme ich erneut auf die vorherigen Fragen zurück: Deswegen ist die Einhaltung der AHA+L-Regeln weiterhin imminent wichtig. Aber auch uns allen kommt als Urlaubsrückkehrer eine hohe Bedeutung zu.

Thema Reiserückkehrer: Was raten Sie allen Urlauberinnen und Urlaubern?
Die Nds. Einreise-Verordnung unterscheidet derzeit in drei verschiedene Kategorien von Ländern, für welche dann auch unterschiedliche Rückreise-Regelungen greifen. Es gibt die Virusvarianten-Gebiete, die Hochinzidenzländer und die Risikogebiete. Je nach Reiseland variiert die Quarantänezeit nach Rückkehr. Das RKI aktualisiert täglich die Liste der Länder. Ich rate jeder Person, den Status des jeweiligen Urlaubslandes auch während des Aufenthaltes immer im Auge zu behalten. Darüber hinaus gilt aber auch hier: Wenn Sie sich an die AHA+L-Regeln halten, die Liste der RKI Risikogebiete beachten und sich auf der Seite des Auswärtigen Amtes über die Einreisebedingungen des jeweiligen Urlaubslandes informieren, sind Sie für eine Auslandsreise gut vorbereitet. Außerdem steht unser Team „Reiserückkehrer“ für alle Fragen und Probleme zur Verfügung.

Kennzahlen wie „Neuinfektionen“ oder „7-Tage-Inzidenz“ sind für viele Menschen immer noch schwer zu verstehen und nachzuvollziehen. Können Sie ein Beispiel dafür geben, wie jeder einzelne persönlich Einfluss auf die Entwicklung dieser Kennzahlen hat?
Hierfür möchte ich zwei Beispiele nennen, die als Fragen auch immer wieder bei uns seitens der Bürger auch immer gestellt werden. Für eine 7-Tage-Inzidenz von 35 sind im Landkreis Gifhorn rund 62 Neuinfektionen in einer Woche notwendig.
Stellen Sie sich vor, Sie und Ihre fünfköpfige Familie kommen aus dem Urlaub zurück und drei Tage später geht Ihr jüngsten Kind in die Kita (10 andere Kinder), das Mittlere in die Grundschule (20 andere Kinder) und Ihr ältestes Kind (25 andere Kinder) in die weiterführende Schule. Dann erhalten Sie die Nachricht, dass alle aus Ihrer Familie positiv getestet wurden. Das hat zur Folge, dass für die Schulklassen und Kita-Gruppe Ihrer Kinder eine Quarantäne angeordnet werden muss. Aus den Indexfällen resultieren somit 55 weitere Quarantänefälle. Diese müssen natürlich nicht alle positiv sein, aber wenn sich nur ein Bruchteil infiziert hat, steigt die Inzidenz merklich an. Und dann gibt es ja noch rund 176.000 weitere Bürgerinnen und Bürger im Landkreis Gifhorn.
Selbige Modellrechnung funktioniert auch bei privaten Feiern. Wenn nur eine Person von rund 100 geladenen Gästen infiziert ist, ist die Wahrscheinlichkeit hoch, dass sich das Coronavirus auf die anderen Gäste überträgt und die Inzidenz in den Folgetagen merklich ansteigt.
Diese Neuinfektionen bleiben in der 7-Tage-Inzidenz ja auch sieben Tage erhalten und fallen erst nach einer Woche aus der Berechnung raus. Das bedeutet, dass ein solches Spreading-Event ausreicht, um die 7-Tage-Inzidenz für den für Verschärfungen notwendigen 3-Tages-Zeitraum zu erfüllen, selbst wenn die Neuinfektionen in den kommenden Tagen verhältnismäßig gering sein sollten.
Vor einigen Wochen gab es in Niedersachsen einen Landkreis, der aufgrund der Verfehlungen eines einzelnen Betriebs in die Bundesnotbremse gerutscht ist. Für den Landkreis galt dann unter anderem die 1+1-Regel für private Kontakte, eine nächtliche Ausgangssperre und das Schließen von vielen Freizeiteinrichtungen sowie der Gastronomie. Ein Betrieb passt nicht auf und das öffentliche Leben wird komplett runtergefahren.
Zugegeben: Diese beiden Beispiele sind jetzt sehr einfach gehalten und es gibt noch viele Faktoren – wie bspw. vorherrschende Hygienekonzepte in Schulen und Kitas, Dauer des Kontaktes zu infizierten Personen, Mutationstypen, usw. – die Einfluss auf die Verbreitung des Coronavirus haben. Aber im Grunde zeigen diese Beispiele nachvollziehbar, wie hoch der Einfluss eines jeden von uns auf das Infektionsgeschehen ist.
Am Ende haben wir es mit unserer Umsicht und unserem Verhalten selbst in der Hand, ob beispielsweise die Gastronomie und der Einzelhandel geöffnet haben. Deswegen appelliere ich hier auch nochmal an jede Bürgerin und jeden Bürger: Jeder von uns kann mit einfachen Maßnahmen zur Bekämpfung der Pandemie beitragen, in dem Abstand gehalten wird, eine Mund-Nasen-Bedeckung getragen wird und die Hygieneregeln beachten werden.

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