Woche des Ehrenamtes - Wittinger Heimatverein

Zwischen Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft – Der Wittinger Heimatverein hält die Erinnerung am Leben

Am Ufer eines kleinen Teichs und gut versteckt hinter dem Grün der Bäume blitzt ab und an das typische Rot und Braun der Klinkersteine und Stützbalken eines Fachwerkhauses hervor.  Faustgroße Steine bilden dicht an dicht gelegt das Fundament des Junkerhofs in Wittingen. Die Oberflächen der Steine sind von den vielen Generationen an Schuhsohlen abgetreten und glattpoliert. Das erste, auf das mein Blick beim Betreten des Junkerhofs fällt, ist der große Kamin in der Mitte des Gebäudes. Holzscheite sind in einer Tipi-Form aufgestellt und warten darauf, den Raum mit Wärme zu versorgen. Angesichts der 30 Grad, die an diesem Mittwoch im August in Wittingen herrschen, scheint es mir dann aber doch etwas übertrieben, den Kamin anzuzünden.

Mein Blick schweift durch den Raum und ich habe sofort das Gefühl in einem Museum zu stehen. Man braucht nicht lange, um zu verstehen, dass man sich im Junkerhof auch mitten in der Wittinger Stadtgeschichte befindet. Porträts von Wittingens Persönlichkeiten an der Wand, ausgediente landwirtschaftliche Gerätschaften auf der einen und traditionelle Gewänder auf der anderen Seite des Raumes. Es herrscht beinahe so etwas wie Urlaubsflair, als wenn man sich an der Nordsee alte Friesenhäuser oder im Harz alte Bergwerke ansieht. Ein Stück Geschichte zum Anfassen, nur eben direkt vor der Tür – zu Hause sozusagen.

An einer langen Tafel vor dem Kamin sitzt Dr. Alfred Stein, 1. Vorsitzender des Wittinger Heimatvereins: „Der Junkerhof war einst das Wirtschaftsgebäude der Ritter von Knesebeck. In Knesebeck haben sie zwar gewohnt, aber irgendwo musste ja auch gearbeitet werden.“ Ein Satz wie aus einem Geschichtsbuch. Und das ist es, dass den Wittinger Heimatverein auszeichnet. Wittinger Stadtgeschichte zu bewahren und zu erhalten. Aber nicht ausschließlich in Büchern, sondern vor allem auch erfahrbar in Form seiner Mitglieder, Geschichten und Ausstellungsstücken. Der Junkerhof ist alt, ein großer Stein im Vorgarten datiert die Anfänge des Gebäudes auf 1530. Einst stand der Junkerhof in der Junkerstraße in Wittingen, musste in den 1980er Jahren aber aufgrund von Umbaumaßnahmen umziehen. Und fand nur wenige hundert Meter weiter in unmittelbarer Nähe zum Wittinger Krankenhaus seinen heutigen Platz.

Hinter Dr. Stein haben sich zahlreiche weitere Mitglieder versammelt und erinnern mich ein Stück weit an einen Geheimbund, der sich seiner Leidenschaft verschrieben hat. „Es macht Spaß, etwas für die Nachwelt zu erhalten. Heimat verbindet man immer damit, dass man sich wohlfühlt“, lässt Dr. Stein Einblicke in die Beweggründe des Heimatvereins zu. 

Neben den zahlreichen Ausstellungsstücken, die der Heimatverein überwiegend von privaten Spendern zum Erhalt übertragen bekommt, kümmern sich die Mitglieder aber auch um das Archiv der Stadt Wittingen und betreiben ein Foto-, Video- und Tonarchiv mit mehreren tausend Dateien. Außerdem im Junkerhof zu finden: Das Zeitungsarchiv des Isenhagener Kreisblattes. Die älteste Ausgabe lässt sogar ein Rückblick bis in das Jahr 1894 zu. Knapp 130 Jahre Zeitungsgeschichte, sortiert, archiviert, dokumentiert – und seit kurzem auch digitalisiert. „Über 400.000 Seiten wurden digitalisiert“, erklärt Dr. Stein. „Zwar hatten wir Unterstützung durch eine Fachfirma, aber die Vorarbeit und Pflege der Dokumente hat viele Monate gedauert“.

Die Digitalisierung ist das bislang größte und langwierigste Projekt, dem sich der Wittinger Heimatverein angenommen hat. Auch deswegen wünschen sich alle jüngere Verstärkung. Die Mitglieder sehen die Überalterung ihres Vereins selbst als großes Problem, teilweise sind die Mitglieder bereits 40 Jahre in der Vereinsarbeit tätig. 

Außerdem werden auch praktische Vorhaben initiiert, die das Stadtbild verschönern sollen – das Aufstellen von Bänken oder Pflasterarbeiten machen sich nicht von selbst, auch dafür sind helfende Hände immer willkommen. „Es ist nicht einfach junge Menschen für Geschichte zu begeistern“, weiß auch der 1. Vorsitzende. „Besonders schwierig wird es, engagierte Mitglieder zu halten, wenn sie für das Studium oder den Beruf die Region verlassen. Aber gerade die Digitalisierung bietet die Möglichkeit unsere Heimat-Geschichte mit zukunftsträchtigen Themen zu verbinden und auch eine Brücke zwischen den Generationen zu schlagen.“ Neben der Digitalisierung, kann der Verein vor allem auch in der Öffentlichkeitsarbeit und der Bewerbung von Veranstaltungen Unterstützung gebrauchen. Derzeit gibt es z. B. nicht einmal eine Homepage. Eine Baustelle, der sich die Mitglieder bewusst sind, die sie jedoch aufgrund von fehlendem Wissen und Personal nicht schließen können. 

Der Junkerhof bietet mir so viele Eindrücke, dass es mir schwerfällt, mich zu entscheiden, was ich mir zuerst genauer anschauen soll. Erst jetzt fallen mir die mit weißen Hussen bezogenen Stühle und der Blumenschmuck auf dem Tisch auf. „Im Junkerhof kann man übrigens auch heiraten“, hat Dr. Stein meinen verwunderten Blick bemerkt. Das Schild mit der Aufschrift „Standesamt“, welches ruhig an der Stuhllehne hängt, war mir ebenfalls entgangen.
 
Ein Stockwerk höher gibt es noch mehr zu sehen – ein Raum, in dem man schnell das Gefühl für die Zeit verliert. Von alten Porzellan-Services über echte Schulbänke aus dem 20. Jahrhundert mit originaler Füllhalter-Tinte bis hin zu Landkarten aus der Region und typischem Mobiliar zeigt die Ausstellung nur einen Bruchteil von dem, was der Heimatverein Wittingen zu bieten hat. „Das ist längst nicht alles aus unserem Fundus“, bestätigt auch Dr. Stein, „Aber uns fehlt schlichtweg der Platz, alles zu zeigen. Außerdem müssten für den Erhalt des Zeitungsarchivs auch spezielle Räume vorgehalten werden, damit der Alterungsprozess des Papiers verlangsamt wird.“
 
Ein Highlight ist eine traditionelle Schusterwerkstatt, denn einst war Wittingen berühmt für seine Schuhmacher. Dr. Stein erzählt mir, dass früher jedes Paar Schuhe eine Maßanfertigung gewesen sei. Aus einer schwierigen, wirtschaftlichen Lage heraus entwickelte dann ein Wittinger Schuster ein Konzept für die heute gängigen Schuhgrößen. Eine Erfindung, die dem Schuster erlaubte schneller und effizienter zu produzieren und die seine Schusterei noch lange mit Arbeit versorgte – eine Heimatgeschichte, wie sie nur der Wittinger Heimatverein erzählen kann.
 
Jeden Montag ist der Junkerhof ab 17 Uhr geöffnet und man kann eintauchen in einen Teil der Wittinger Stadtgeschichte. Im Winterhalbjahr gibt es außerdem Vorträge und Sonderausstellungen, um die Erinnerung zu wahren. Kostenlos, versteht sich. Dennoch haben Besucher die Möglichkeit eine kleine Spende zu geben.
 
Noch ist es allerdings August und draußen brütend heiß. Was ich an diesem Vormittag im Junkerhof alles gesehen und gelernt habe, wird mir erst Tage später richtig bewusst. Im Winter, wenn das Rot und Braun des Junkerhofs nicht von dem Grün der Bäume verdeckt wird, nehme ich mir vor, für einem der Vorträge zurückzukehren. Um die Erinnerung zu wahren.